[Hier ein Artikel über Juliette Grécos Konzert in Stuttgart aus dem Reutlinger Generalanzeiger.]
Konzert – Juliette Gréco im Stuttgarter Theaterhaus
Göttin des Chansons
STUTTGART. Es ist einfach unmöglich. Da ist der unvergleichliche Auftritt von Juliette Gréco. Eine Frau voll Anmut und Eleganz. Dieses sprühende Wesen, dieser Ausdruck, diese Körperlichkeit. Und diese Frau soll im Februar ihren 85. Geburtstag gefeiert haben? Wie Zahlen doch trügerisch sein können. Juliette Gréco wandelt im Stuttgarter Theaterhaus im für sie längst berühmten Samtkleid auf die Bühne, wird stets durch den warmen Lichtkegel aus der Dunkelheit und dem schwarzen Bühnenhintergrund gehoben.
Wie facettenreich dieses Leben war, bringt die Frau, die einst zur Muse der Existenzialisten wurde, in eigentlich allen ihren Lieder rüber. Jean-Paul Sartre hatte ihr Talent als Sängerin entdeckt, Schriftsteller wie Sagan und Camus haben für sie in jungen Jahren Texte geschrieben. Der Zauber, der sie umgibt, war schon immer da. Unergründlich, philosophisch, ins Leben greifend. Nun wirkt alles intensiver, reifer, vollendeter.
Zart und brüchig
Ihr Gesang mit leicht rauchigem Grundton lebt nun noch mehr vom Zarten und Brüchigen, zelebriert das Gehauchte und Angedeutete, kennt aber auch das Kraftvolle und Energische. Im Vortrag ist Leichtigkeit und Theatralik, dazu das beeindruckende Spiel der großen, filigranen Hände. Da sind auffällig viele nachdenkliche Momente. In „J’arrive“ geht es um einen Dialog mit dem Tod. „Aber warum ich, warum jetzt?“, heißt es in einer Zeile. Juliette Gréco singt das mit Würde und geistiger Tiefe.
Sie wird von Gérard Jouannest am Flügel begleitet. Ihre große Liebe, ihr zweiter [dritter – Anm. v. Guitchime] Ehemann, Jean-Louis Matinier spielt Akkordeon. Die instrumentale Begleitung ist vorzüglich, aufs Wesentliche beschränkt. Alles sitzt, passt wunderbar zum Gesang. […] Überaus kokett präsentiert sie „Déshabillez-moi“ (Zieh’ mich aus), was sie sonst nicht mehr singen würde – sie macht eine Ausnahme. [Sie meinte, eigentlich sei sie zu alt dafür, aber „normal“ sei sie eben nicht. – Anm. v. Guitchime]
Titel von Serge Gainsbourg
Mehrere Titel, die Gréco immer mit Charme samt Anmerkungen kurz ansagt, stammen von Serge Gainsbourg, den sie gefördert hat. „Accordéon“ strotzt nur so vor Leben, in „Jeunesse“ [ „La Javanaise“ – Anm. v. Guitchime] fliegen zum Schluss Küsse gen Himmel. Mehrfach fliegen sie glücklichen Gästen entgegen [mir zum Beispiel – Anm. v. Guitchime]. In „Vivre“ gesteht sie, dass sie für ihre Liebschaften lebt. Ganzkörpergänsehaut gibt es vom ersten bis zum letzten Ton bei „La chanson des vieux amants“.
Juliette Gréco ergreift das Publikum. Nach anderthalb Stunden sind da stehende Ovationen, die nicht enden wollen. Der Auftritt ist als „Geburtstagskonzert“ deklariert. Dem Vernehmen nach ist es die letzte Tour [NIEMALS! – Anm. v. Guitchime]. Die Götten des französischen Chansons wird sich wohl zurückziehen. Sie verabschiedet sich mit ihrer ganz eigenen Interpretation von Jacques Brels „Ne me quitte pas“, mit ungeheurer Wirkung. Mehr geht nicht. Unzählige Rosen [mehr als in Paris – Anm. v. Guitchime] werden zur Bühne gebracht. Der Applaus lässt Juliette Gréco lange nicht gehen. Sie verneigt sich mehrfach tief, umarmt das Publikum nochmals innig – und geht. (mwm)
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